Donnerstag, 24. Januar 2019

Ich will unbedingt zu dir in die Hauptstadt...

Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wie das angefangen hat. Ich lag bei meiner Mama auf dem Sofa, das weiss ich noch, und wir haben Shopping Queen geschaut so wie jeden Freitag. Du hast mich angeschrieben, so wie viele andere auch. A..., 36, aus Berlin... mit Fakenamen und nichtssagenden Profilbildern. Du würdest jetzt Sachen packen und zu deinen Eltern fahren. Okay, was interessiert mich das, habe ich damals gedacht...?!? Aber ich habe dir immer wieder geantwortet. Mir hat deine freche Art gefallen und so haben wir uns den ganzen Nachmittag unterhalten bis spät in die Nacht, den Samstag bis du auf einmal fragst, ob wir uns nicht treffen wollen. Treffen? Berlin? Ich verstehe nicht ganz... Du schickst ganz viele Grinsegesichter, deine Eltern wohnen in meiner Gegend.

Das geht mir eigentlich zu schnell, aber ich lasse mich zum spazieren gehen im Park überreden. Es ist Frühling, draussen ist es noch etwas kühl aber die Sonne scheint. Du redest die meiste Zeit, wir laufen an unserer alten Schule vorbei und gucken neugierig in die Fenster, erzählen, wie es früher war. Noch eine rauchen, sagst du, dann muss ich weiter an die Schlachte, treffe mich mit paar Ehemaligen dort. Wir setzen uns auf eine Bank. Ich merke, wie du mich von oben bis unten musterst. Du rückst näher an mich ran. Ich hab bis jetzt immer noch das unschuldige Blödchen gespielt. Irgendwie läuft die Masche bei dir und ich muss nichts über mich preisgeben. Du rückst noch weiter an mich ran. Ich will dich küssen, flüsterst du. Versuch es, antworte ich und dann küsst er mich. Kurz darauf trennen sich unsere Wege. Er muss gerade an der Schlachte angekommen sein, da meldest er sich schon wieder und erzählt mir haarklein, was er alles mit mir anstellen will. Dazu kommt es aber nicht. Am nächsten Morgen geht es zurück nach Berlin.

Ich höre eine ganze Weile nichts von dir. Dann bist du plötzlich wieder in der Gegend. Deinem Vater geht es nicht gut, man hat Krebs festgestellt. Ich versuche dich ein bisschen aufzuheitern. Erzähle von meiner Mama. Wir haben ähnliche Schicksale. Du versuchst noch mal dein Glück mit einem Treffen aber ich habe an diesem Wochenende bereits ein Date und gegen den kommt zu dem Zeitpunkt keiner an.

Wieder vergehen Monate ohne jeglichen Kontakt. Ich lösche irgendwann die Unterhaltung. Dich werde ich wohl nie wieder lesen, denke ich. Es ist mittlerweile Weihnachten und ich sitze alleine auf dem Sofa. Das ist das erste Weihnachten alleine seit über 12 Jahren. Es fühlt sich komisch an. Da bist du wieder. Du wolltest mir frohe Weihnachten wünschen und ab dem Zeitpunkt schreiben wir wieder jeden Tag. Mich deprimiert das alleine sein zunehmend und das lasse ich in dem Moment leider sehr raushängen. Du erzählst mir, du seist ein Arschloch, denn du hättest noch nie einer Frau einen Blumenstrauss oder einen Ring geschenkt und du bist schonungslos ehrlich und dann tröstest du mich, baust mich auf, hörst dir mein ganzes Gejammer an und sagst mir die Meinung, wenn es Not tut. Ich habe das Arschloch noch nicht gefunden, denn das was du gerade tust, ist viel besser als Blumen und wertvoller als jeder Ring. Vielleicht hast du auch einfach die Frau noch nicht getroffen, für die du all das tust, was du bis jetzt nicht für nötig gehalten hast. Was glaubst du, warum ich dich immer wieder anschreibe, fragst du irgendwann, ich fand dich von Anfang an toll, wie du gelächelt hast in deiner dicken Winterjacke. Wir schaffen es diesmal wieder nicht zu einem Treffen. Du denkst, ich sei im Moment zu labil um einfach nur ein paar schöne Stunden miteinander zu verbringen. Ich sehne mich unheimlich nach Nähe.

Paar Wochen später haben wir nach unheimlichem Kaspertheater meinerseits endlich ein Treffen zum Kaffee trinken. Ich trinke nicht mal Kaffee. Als ich dir die Tür öffne, ist das erste, was ich spüre deine Lippen auf meinen und es fühlt sich immer noch so gut an wie beim ersten Mal. Du bekommst deinen Kaffee, wir sitzen ganz brav auf dem Sofa und labern über dies und das, hören Musik. Ich merke die ganze Zeit, wie du mich wieder musterst, bei jedem Schritt den ich mache. Eigentlich wolltest du schon lange gefahren sein. Ich lege meinen Kopf auf deinen Schoß, du kraulst meinen Rücken. Wir wollen beide nicht, dass du gehst. Irgenwann musst du. Mutti braucht deine Hilfe. Du hast versprochen die Wäsche zu machen. Wir küssen uns leidenschaftlich zum Abschied. Ich spüre wie deine Hände über meinen Körper wandern. Dann fällt die Tür ins Schloss.

Wieder vergehen Monate. Dann kommt die nächste Nachricht. Ich hätte dir noch einen Kaffee versprochen. Den holst du dir heute. Noch stehst du im Stau aber noch bevor ich bereit dafür bin klingelt es an der Haustür. Du drückst mich gegen den Türrahmen. Ich will dich, flüstert du. Ich stotterte irgendwas vor mich hin. Wir setzen uns. So unbeteiligt, gleichgültig, wie das gerade jetzt eben geht. Du stehst auf, schaust mich an, beugst dich über mich, küsst mich, streichelst mich. Ich fühl mich unheimlich wohl bei dir. Kopf aus und ich krall mich an dir fest. Als du aufstehst, stotterst du Minutenlang immer wieder das gleiche Wort. "Ay Caramba" Ich muss kichern. Hätte nicht gedacht, dass es so matched. Nicht beim ersten Mal. Eigentlich nie. Ich hatte eher Angst vor dir und dem, was passieren könnte. Kurze Zeit später bist du weg. Aus meiner Wohnung. Aus Deltown. Aus meinem Leben. Vorerst...

Ich krieg dich eine ganze Weile nicht aus dem Kopf. Vielleicht will ich das auch gar nicht. Mama findet dich niedlich. Wenn er das ist, dann geh, sagt sie. Ich hätte hier nichts zu verlieren. Insgeheim habe ich schon beschlossen, dass wir das Experiment wagen. Who the f*ck ist schon Berlin?!?

Du meldest dich wieder dein typisches halbes Jahr später. Du denkst an mich. Öfter. Du wärst in der Gegend. Ne ganze Woche diesmal. Jackpot, denke ich. Diesmal ist es deiner. He's completely mind-fucked. Aber das einzige, was bei der Unterhaltung fucked ist, bin ich, und zwar abgefuckt. Es fällt ein kleines Wort, was meine Pläne bröseln lässt. Fremdficken... Ich bin vergeben, schreibst du.

Die Folgetage diskutieren wir lang und breit, was Beziehung bedeutet. Sie ist nicht so hübsch wie du, tippst du, sie macht mich nicht so an im Bett. Du hast mich verarscht, antworte ich, du hast gesagt du wärest schonungslos ehrlich. Du versuchst zu versichern, dass du sie nach mir kennen gelernt hättest. Damals hätte sie nicht in deinem Leben existiert. Ich versuche als Schadenbegrenzung mein Kartenhaus wieder aufzustellen und ziehe den Zaun extra höher. Warum hat die, was mir gehört? Ich bin hübscher als sie, ich bin besser als sie, schreibe ich, aber sie ist deine Freundin... Weisst du, wenn sie die Nummer eins wäre, gäbe es diese Unterhaltung hier nicht. Damit ist für mich alles gesagt.

Ich wollte dir ne Kleinigkeit vor die Tür stellen, hab mich dann aber dagegen entschieden, schreibst du ein paar Wochen später. Ich wohne im Bermudadreieck, entgegne ich, da steht nichts länger als ein paar Minuten. Du sollst deinen Prinzipien nicht untreu werden... Sollte, antwortest du. Wenn man in einer Beziehung ist, fragst du weiter, darf man sich dann in jemand anderes verknallen? Wenn das passiert, sage ich, bin ich in keiner Beziehung mehr. Fremdgehen fängt im Kopf an. Ich mag unsere Unterhaltungen immer noch. Ich mag es, dass ich sagen kann, was ich denke ohne ein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen. Ich dachte, du stehst auch auf guten Sex, schreibst du irgendwann. Ihr würdet euch beide anderweitig vergnügen. Das ist nichts für mich und ich weiss nicht, wie sehr das dieses Mal gelogen ist. "Deshalb steht in meinem Profil ja auch an erster Stelle, dass nur was festes suche, quake ich weiter, damit meine ich natürlich Schwänze. Ist klar. Kann man schon mal falsch verstehen. (...) Anscheinend kann dich irgendeine berliner Tussi besser vögeln als ich. Möge die bessere gewinnen" Ich kann von niemandem die Einstellung ändern, das habe ich die letzten Monate lernen müssen, mehrfach, auch wenn ich so sehr will. Er meldet sich seitdem fast täglich.

Männer trennen sich nicht so einfach, schreibt ein Bekannter, aus Gewohnheit. Ein Mann merkt erst, wenn es zu spät ist, dass es zu spät ist. Das heisst dann wohl aufgeben für mich. Ich zerstöre keine Beziehungen, nicht bewusst kalkuliert zumindest aber ich bin es leid gegen Windmühlen zu kämpfen.

Youtube springt in dem Moment auf das nächste Lied um: Sido...

"Steig ein!
Ich will dir was zeigen
Der Platz an dem sich meine Leute rumtreiben:
Hohe Häuser - dicke Luft - ein paar Bäume - 
Menschen auf Drogen, hier platzen Träume
Wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben
Ich hab alle meine Freunde aus dieser Gegend
Hab doch keine Angst vor dem Typen mit dem Schlagring
Er ist zwar 'n bisschen verrückt doch ich mag ihn
Ich kann verstehn', dass du dich hier nicht so wohl fühlst
Dass du viel lieber zu Hause im Kohl wühlst
Du sitzt lieber an nem gutgedeckten Tisch
Dann merkst du ganz schnell, Berlin ist nix für dich!"

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