Samstag, 23. September 2017

Weil ich nicht wie du werden will...

Wir lernen ein Leben lang. Wir lernen aus eigenen Erfahrungen, aus Erzählungen anderer, jeden Tag, jede Minuten. Wir haben Vorbilder, die einen Status erreicht haben, den wir möchten. So manch einer möchte reich sein wie Mark Zuckerberg, hübsch wie Heidi Klum oder klug wie Einstein. Was auch immer es ist, was uns so fasziniert. Wir eifern einem Vorbild nach. Andere Vorbilder werden uns von der Natur gegeben und wir können sie uns nicht aussuchen, wie zum Beispiel unsere Eltern. Sie sollten Vorbild sein, aber nicht alle Eltern können das. Manche sind selbst noch Kind, andere sind durch Krankheit nicht in der Lage für ihr Kind zu sorgen, es sterben jeden Tag viel zu früh Mamas und Papas. Aber es gibt auch Eltern, die sich die Wichtigkeit ihrer Aufgabe nicht bewusst sind oder es aus eigenen Erfahrungen einfach nicht können.

Mein Vater hat gesoffen, er hat mich angebrüllt, er hat mich rausgeworfen mit meinen Brüdern, wenn er zu voll war. Er hat Mama weh getan, glaube ich, sagt sie. Meine Mama hat gesoffen, sie hat mich angebrüllt, hätte mich wohl am liebsten auch vor die Tür gesetzt, wenn sie zu voll war, hat dann aber lieber selbst Reißaus genommen, denke ich. Man sieht, das Kind lernt von den Eltern. Ich glaube nicht, dass sie ihren Vater jemals als Vorbild gesehen hat aber man macht in der Regel das nach, was man irgendwann mal vorgelebt bekam, wenn man als Kind noch nicht entscheiden konnte, was richtig und was falsch war. Da kann es auch schon vorkommen, dass eine Sache, die ansich einfach nur furchtbar ist, zu etwas normalen wird, weil man sie leicht runterspielen kann.

Ich hatte kein Vorbild als ich es am meisten gebraucht habe. Meine Eltern waren in meiner Jugend fast durchgängig in einer Krise, was letztendlich auf die Aussetzer meiner Mama zurück zu führen war. Mein Papa versuchte, so gut es eben geht, das Loch zu stopfen und uns Kinder, davon fern zu halten. Aber wenn ich es im Nachhein betrachte, hat alles Bemühen nicht geholfen. Wir leiden alle daruter, der eine mehr, der andere weniger. Ich will nicht über meine Geschwister urteilen, die müssen selbst mit ihrer Situation zurecht kommen, denn Hilfe ist bei uns nicht gewünscht. Hilfe ist auch etwas, was wir nie richtig gelernt haben, weder sie zu geben noch sie anzunehmen, genauso wenig wie das ausdrücken positiver Gefühle.

Ich habe diverse Angewohnheiten, die meine Umwelt denken lassen, ich wäre schlecht drauf, was nicht der Fall ist. Das sind dumme Angewohnheiten, die ich aber nicht so schnell los werde, weil sie sich über Jahre festgesetzt haben. Ich bin aber kein Einzelfall, ich beobachte das bei einigen meiner Mitmenschen. Eine dumme Angewohnheit meiner Eltern war es, alles erst einmal schlecht zu machen und das kann ich jetzt auch super, ich sehe überall die Katastrophen, auch, wenn da keine sind. Dann male ich mir einfach aus, was passieren könnte. Ganz stolz bin ich damals mit meinem Abizeugnis nach Hause gekommen und was sagen meine Eltern: "Hätte ja besser sein können". Ich war so enttäuscht. Meine Freundin, die noch viel schlechter war als ich und es gerade geschafft hatte, wurde von ihrer Mama mit einem großen Blumenstrauß an der Schule abgeholt, umarmt, geküsst und sie hat ihr gratuliert. Das einzige, was meine Mama später in einer ruhigen Minute sagte, war: du weisst, dass wir stolz auf dich sind, dass du das geschafft hast... Da saß die Enttäuschung schon viel zu tief... Ja, ich weiss es, aber man sagt es mir nicht und manchmal muss man hören, dass man etwas gut gemacht hat. Ich habe angefangen mich selbst zu loben, weil man das, was man am häufigsten über sich hört irgendwann anfängt zu glauben. Und wenn das Selbstbewusstsein aus welchen Gründen auch immer einmal am Boden ist, braucht man eine ganze Weile um es wieder aufzubauen.

Ich erinnere mich nicht, dass sich meine Eltern jemals richtig vor uns Kindern geküsst hätten. Sie haben sich eher gegenseitig veralbert und genau das mache ich heute auch, wenn mir eine Situation zu emotional wird, wenn mir jemand zu lange zu nahe kommt. Ich habe ein ziemlich großes Problem irgendwelche Gefühle auszudrücken, weil ich Angst habe, etwas falsch zu machen. Angst, das ist das, was entsteht, wenn man diese Vorbilder nicht hat, weil man nicht weiß, wie etwas richtig ist. Wenn ich heute mit meiner Mama vor dem Fernseher sitze und im Fernsehen sind zwei Personen, die sich küssen, schaltet meine Mama weg oder sagt etwas wie "Ih, das will doch keiner sehen" Moment... das will keiner sehen? Doch, ich will es, weil es das ist, was mir fehlt, ganz extrem fehlt, weil ich nicht, weiss, wie ich den ersten Schritt dahin mache und wie ich das festhalte, was die dort haben. Ich hab es vor ein paar Monaten mal so erklärt: Ich kann gut mit mir machen lassen, aber ich kann nicht den ersten Schritt dahin machen.

Ich habe eine ganze Menge unausgesprochener Gefühle in mir. Eins davon ist Liebe. Ich nehm Liebe als Beispiel, weil es mir am schwersten fällt. Als ich 16 war, waren wir auf eine dieser Parties, die regelmäßig stattfanden und es war jemand da, den ich ewig und noch ein bischen länger gut fand. Ich bin mutig, also bin ich hinterher als er raus ist und hab ihm erzählt, wie gerne ich ihn mag. Er hat nichts gesagt und sich umgedreht und ist gegangen. Ich habe Liebesbriefe geschrieben, ich habe versucht besonders nett zu bestimmten Personen zu sein, damit sie mich bemerken. Ich habe gelächelt, ich hab mich aufgetüdelt, ich hab die ganzen ätzenden Dinge getan, die Frauen tun, wenn sie auf sich aufmerksam machen wollen, inkl.  diesem ätzenden Gelächter und Augen zwinkern. Es half nichts, ich blieb alleine. Ich habe damals nächtelang Zuhause geweint, weil ich die einzige im Freundeskreis war, die alleine war und ich konnte nicht verstehen warum. Ich glaube die Frage nach dem warum war schon vollkommen falsch. Die Frage wäre eher gewesen, wie werde ich die Angst vor dem ewig alleine sein los...

Die erste Beziehung oder überhaupt den ersten Kontakt mit irgendwelchen Männern hatte ich mit etwa 20. Es war eine Zweckbeziehung, die nur dem Zweck diente nicht mehr alleine zu sein. Vollkommen falsch angegangen, vollkommen falsch ausgeführt, aber das hatte ich von meinen Eltern gelernt, die blieben zusammen, auch, wenn zwischenzeitlich eine Trennung die bessere Wahl gewesen wäre. Da hatte eben auch keiner Lust einen neuen Partner zu suchen. Bei der zweiten Beziehung hatte ich finanzielle Sicherung als Motivation. Auch wieder vollkommen falsch angegangen und vollkommen falsch ausgeführt. Es scheiterte, als eine echte Bindung immer mehr Diskussionsthema wurde. Danach lernte ich, was wirklich Liebe ist. Auch, wenn er mir unheimlich weh getan hat, denke ich, dass es die wichtigste Erfahrung in meinem Leben war, denn ich wollte nichts anderes, als dass es ihm gut geht. Ich denke, das ist ein wichtiger Teil, der die Liebe ausmacht.

 Meine Mama beschimpft jeden Mann, der mich oder meine Schwester verletzt oder abserviert hat als Arschloch. Ich bevorzuge es, dass sie mir irgendwann einfach egal sind. Ich denke, dass egal die höchste aller Phasen ist, in denen man etwas verarbeiten kann. Egal ist schlimmer als Hass, denn bei Hass hast du definitiv noch Gefühle, wenn auch negative. Ich denke, dass meine Art der Bewältigung mit solchen Themen besser ist als ihre. Sie redet sich jedes Mal in Rage. Sie schließt niemals damit ab. Genauso wenig wie sie mit dem Tod ihrer Mutter abschließen kann. Und deshalb kommen die Depressionen wenn sie alleine ist. Sie hat Angst nicht geliebt zu werden - genau wie ich - "Wenn ich sterbe, interessiert das doch keinen sagt sie." Doch, antworte ich, ich bin da und mich interessiert es.
Sie hat Angst etwas nicht zu können - genau wie ich - und sie sagt zu mir: "Das brauchst du gar nicht versuchen, das schaffst du eh nicht" und dann schaffe ich es doch. Sie hat Angst abgelehnt zu werden  - genau wie ich - und sagt über ihren Mann, er sei nur noch mit ihr zusammen, weil er zu faul ist sich eine andere Frau zu suchen. Sie weiss nicht, wie oft Papa zu mir sagt, wenn es ihr nicht gut geht, wenn ich vorsichtig mit ihr umgehen soll. Wie kann man über einen Mann, der sowohl die ganzen vielen schlechten Zeiten mit dir durchgestanden hat, Krankheiten überlebt hat, Kinder zur Welt gebracht hat und die Familie seitdem alleine ernährt, sagen, dass man sich nicht geliebt fühlt. Sie führt eine Leben, wovon andere Menschen träumen. Es ist immer genug essen da, er legt ihr jeden Morgen Geld auf den Tisch, damit sie wieder shoppen kann. Die Schränke platzen aus allen Nähten. Aber sie bekommt das Geld, weil er weiss, dass sie dann abgelenkt ist und nicht weint oder in Depressionen erstickt. Ich glaube, er ist überfordert und weiss sich nicht richtig zu helfen. Alles, was er tun kann, ist sie zu den Ärzten zu begleiten und zu hoffen, dass alles gut wird.

Papa kommt in die Küche. Mama steht auf: Na Atzi, kommst du wieder stänkern? sagt sie. Dann steht sie auf und springt übertrieben albern in der Küche rum und versucht unter grellem Gelächter ihn zum mithampeln und tanzen zu bringen. Geh weg, murmelt er und schiebt sie weg. Wahrscheinlich ist das deren Art geworden "Hallo Schatz, wie geht es dir" zu sagen. Es ist bemitleidenswert anzusehen. Ich lächel aus Höflichkeit.

Als ich 15 oder 16 war, stand ich meiner Mama gegenüber. Sie schaute mich an und ich schaute in ihre vom Alkohol aufgequollenen Augen. "... weil ich nicht so werden will wie du..." habe ich gesagt. Und das möchte ich immer noch nicht!

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