Freitag, 30. Juni 2017

Cáscara

"Habe ich erst vor ein paar Tagen einen interessanten Bericht zu gelesen", schreibt er. "Singles treffen sich immer wieder mit potenziellen Partnern und sehen sich dazwischen für einen längeren Zeitraum nicht, um zu sehen, ob man den anderen schon vermisst oder an ihn denkt und umgekehrt. Und das ganze immer wieder, um wirklich sicher zu gehen. Und nach langer langer Zeit trifft man dann vielleicht mal eine Entscheidung. Das Angebot ist halt so groß und jeder hat die Befürchtung, nicht das absolut beste für sich zu ergattern"

Das ist traurig, denke ich, aber da ist irgendwie was Wahres dran. Er hat irgendwie Recht mit dem, was er sagt. Aber warum ist das so. Wir werden schon in der Schule darauf trainiert alles zu hinterfragen. Wir werden darauf gepolt immer der Beste sein zu wollen. Es läuft alles nach dem Motto: "Ich bin nur mit dem besten zufrieden". Wie das nun mal so ist, überträgt sich der Ergeiz, den wir für Schule, Arbeit oder Sport entwickeln auch auf das komplette Privatleben. Da, wo man sich sicher und geborgen fühlen sollte, entsteht ein erbitterter Kampf um das Ansehen vor den Freunden, um die Wertschätzung der Familie und bei der Auswahl des richtigen Partners.

Du gehst nicht mehr vor die Tür, triffst zufällig eine Person an der Kasse im Supermarkt, lächelst sie an, ihr kommt ins Gespräch und tauscht Nummern. NEIN! So läuft das heutzutage nicht mehr. Meine Mama ist erstaunt, als wir das wieder einmal diskutieren. Früher war das so leicht jemanden kennen zu lernen. Früher hat man nicht darüber nachgedacht, ob das funktionieren könnte, sagt sie, man hat es einfach probiert. Früher gab es dieses "Ich bin alleine stark, ich brauche niemanden"-Einzelgängersyndrom nicht. Ich muss lachen, früher war das alles einfacher oder wie heisst es so schön. Heute, sage ich, heute wird diskutiert, analysiert und exekutiert. Das funktioniert nach komplizierten Auswahlverfahren und das, was auf der Strecke bleibt, sind die Gefühle. Aus dem kleinen Keim wird niemals eine Rose, weil er im Kampf um das beste übersehen wird, denn er ist klein, unbedeutend und wird wahrscheinlich einfach übersehen, während man mit den anderen um das große Ganze wetteifert. Während der Keim nun durstet, auf Beachtung hofft und ein einsames Leben vor sich hinlebt, kann er froh sein, wenn er nicht noch mit Füssen getreten wird und stirbt, bevor er richtig geblüht hat. Und deshalb werden wir auch nie sehen, dass er die schönste Rose von allen gewesen wäre.

Niemand möchte eine Beziehung aufbauen, wir wollen, dass sie einfach da ist und funktioniert. Zeit ist wertvoll und keiner hat sie. Keiner investiert Zeit um an etwas zu arbeiten, wo womöglich nie das dabei raus kommt, was man sich wünscht. Niemand hat Zeit und noch weniger Lust eine Person aus ihrem Schneckenhaus aus Hobbies, Arbeit und Schutzmauern zu holen für eine Sache, die mathematisch nicht erklärbar oder nachweisbar ist.

"Ich kann jetzt nur von mir sprechen aber wenn es etwas ist, dann weiss man das und dann ist alles andere uninteressant" schreibe ich ihm zurück und dann überlege ich, was dieses Etwas ist. Dieses Etwas ist möglicherweise dieser kleine Keim, der gepflegt, beschützt und gegoggen werden muss. Was viele nicht bedenken, ist einfach, dass du nicht weisst, was aus dem Keim wird und grundlegend betrachtet, ist es auch ganz egal, was daraus wird, sei es eine Rose oder ein Veilchen. Es kommt nicht darauf an, ob es blau oder rot blüht und es ist ebenso nicht wichtig, dass es die Größte oder Stärkste von allem Blumen ist. Wichtig ist, dass du sie am Leben behälst, denn sie blüht nur für dich und solange sie blüht, macht sie dich glücklich.

Übertragen wir das auf uns Menschen. Es ist vollkommener Blödsinn auf irgendwas zu warten, es ist genauso blöd um bereits blühende Pflanzen zu kämpfen. Das sind die Trophäen anderer Personen. Jeder muss für sich selbst seinen Keim großziehen, wenn man möchte, dass es "Etwas" wird. Und mit "Etwas" meine ich echte Gefühle. Es ist egal, wie er blüht, ob er auf Extremsport steht, ob er Spiele spielt, es ist sogar egal, wenn er Dinge macht, die du eigentlich hasst. Das sind Nebenkriegsschauplätze, die absolut unwichtig sind. Viele sagen, man muss schauen, ob es passt, das halte ich für eine blöde Ausrede, weil man einfach zu feige ist, es zu versuchen, aus Angst zu scheitern. Wenn man jemanden mag, ändert man sich für diese Person und du akzeptierst sie mit allen Eigenheiten und Macken. Wenn dieser Keim da ist, kannst du stundenlang neben ihm sitzen, ihn anschauen, still vor dich hinlächeln und du merkst nicht, wie die Zeit vergeht und es sind trotzdem die schönsten Momente in deinem Leben. Du willst morgens die Augen auf machen und er soll das erste sein, was du siehst, wenn du wieder aufwachst und das letzte, was du siehst, bevor du einschläfst. Du lächelst, wenn du an ihn denkst, deine Augen leuchten, wenn du über ihn sprichst und du musst nichts mehr sagen, denn alle deine Freundinnen sehen dir sowieso an, woran du denkst. Er wird die einzige Person sein, die dich aus deinem Schneckenhaus holen kann.

Aber wir kümmern uns nicht um Keime, wir schauen nach oben und wollen die stolz blühenden Rosen. Und wir kämpfen immer wieder bis einer zu Boden fällt. Wenn wir dann am Boden liegen, mit Schmerz verzerrtem Gesicht die Augen öffnen und unser Schneckenhaus zerstörrt ist, erkennen wir vll den kleinen Keim, der leise die ganze Zeit neben uns wuchs und darauf hoffte entdeckt zu werden. You decide, what you get. Make it happen...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen