Donnerstag, 3. August 2017

Große Liebe

Er war meine große Liebe, sagt sie und schaut mich an. Was soll ich dazu sagen, du bist verheiratet, du wohnst in einer Villa, hast nen guten Job, im Grunde einen Mann, der sich um alles kümmert und heulst deiner Jugendliebe hinterher... Irgendwas läuft hier falsch, denke ich. Die Stille zwischen uns ist schon unangenehm. Was macht er heute, frage ich. Er ist Arzt, wohnt mit seiner Frau in Brandenburg. Okaaaay, denke ich. Er war immer so höflich und meine Eltern mochten ihn auch sehr. Er sah gut aus, war überall ein gern gesehener Gast, jeder mochte ihn, er war eigentlich perfekt, wie gesagt, die große Liebe... Dann zog er weg um zu studieren...

Mich lässt den ganzen Nachmittag die Unterhaltung nicht los. Es war die große Liebe. War... also ist es vorbei und trotzdem lässt es sie seit Jahren, Jahrzehnten nicht los. So sehr, dass sie jedes Jahr zum Geburtstag gratuliert, sie sich darüber Gedanken macht, ob die Herzchen im Bild mit dem Blumenstrauß zu aufdringlich sein könnten und womöglich darauf schließen lassen könnten, dass... Ich grinse innerlich gerade darüber, wie viele Herzchen und Küsschen über Whatsapp, per SMS oder sonste wo versendet werden und wie wenig sie bedeuten. Sie verwendet Stunden darauf das richtige Bild für die Geburtstagsnachricht auszusuchen und braucht auf einmal einen eigenen E-Mailaccount mit geheimen Passwort um mit ihm zu schreiben.

Das ist nicht die große Liebe, denke ich. Du trauerst einem Bild nach, was in der Vergangenheit liegt, einer Person, die sich verändert hat, die heute eine ganz andere ist. Du willst, dass die paar schönen Erinnerungen, die sich in deinem Kopf festgesetzt haben, wiederkommen, die damit verbundenen Gefühle, die dein Gehirn über die Jahre geschmückt hat. Vielleicht war es damals nur ein Kuss, eine Umarmung, aber für dich ist es gerade der schönste Moment deines ganzen Lebens und genau den willst du jetzt. Wir vergessen oder verdrängen oft schlechte Erinnerungen, es sei denn sie waren besonders einschneidend. Wir versuchen sie in Träumen zu verarbeiten, vielleicht ein Schutzmechanismus unseres Körpers. Übrig bleiben die positiven Dinge und die lässt unser Gehirn oft gerne positiver sein, als sie in dem Moment waren. Aber du nennst diese übrig gebliebene Erinnerung, die sich in deinem Kopf über Jahre verbessert hat, als wie sie wirklich war, große Liebe.

Es wird viel über die Liebe geschrieben. Es gibt nur eine große Liebe, sagte man mir. Liebe würde wachsen. Liebe wäre etwas für den Moment. Ich habe keine Ahnung, welche dieser Theorien die richtige ist. Du redest dir ein, Liebe kann man nicht beeinflussen. Das ist deine Ausrede dafür, dass du seit Jahrem einem Mann hinterher trauerst, der gar nicht mehr zu dir passt, der weit weg wohnt und mit Frau und Kinder ein eigenes glückliches Leben führt. Seien wir ehrlich: Wäre es die große Liebe gewesen, du wärest mitgegangen, du hättest damals alles liegen gelassen um mit ihm zusammen zu sein. Du hättest dir die Zeit für ihn genommen um ihn zu sehen. Aber du hast das nicht...

Und jetzt benutzt du ihn um deine eigene Unfähigkeit zu verbergen, denn es hört sich besser an, der wahren großen Liebe hinterher zu trauern, die leidenschaftlich und voller Überraschungen gewesen ist (was sie nicht war, denn das sagen dir nur deine falschen Erinnerungen), als von einer Sache einfach nicht los zu kommen, weil man nicht stark genug ist die Ablehnung zu verarbeiten. Ich weiss nicht, ob man hier überhaupt von Liebe sprechen kann. Ihr wart gerade mal drei Monate zusammen...

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